Erinnerungsfetzen

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„Tag, ich bin Manfred. Manni, der Busfahrer.“
„Was, auf Heroin und dann Bus fahren?“, erwiderte sie ungläubig.
„Das geht eigentlich ganz gut. Ich spritze ja nicht. Ich rauche das Zeug nur. Großer Unterschied, weißt du?“
„Hm. Ach so.“ Sie packte ihr Besteck aus und kochte ein wenig des Stoffes auf, den sie kurz zuvor gekauft hatte.
„Wie alt bist du?“, fragte Uwe.
„Sechzehn“, antwortete sie.
„Du meine Güte, ich hatte gedacht, dass du schon volljährig bist.“
„Nee. Hat jemand noch ne brauchbare Spritze zur Hand?“, fragte sie, doch alle verneinten.
Sie hasste diese Einwegspritzen. Die hatten gemeine Widerhaken, die in der Haut hängenblieben und die Venen aufrissen. Sie hasste sie. Drückte ab. Packte die Spritze in ihre Tasche zurück. Ein paarmal konnte man sie bestimmt noch verwenden.


„Wir machen jetzt ein paar Untersuchungen, und dann schläfst du heute Nacht zunächst einmal im Beobachtungszimmer. Morgen bekommst du dann ein eigenes. Rasierklingen, Messer, Nagelschere dabei? Das darfst du leider nicht behalten. Hier ist die Hausordnung. Telefonate und Besuche erst nach der Eingewöhnungszeit. Sind ja nur ein paar Wochen.“
Sie bat um einen Block und einen Stift. Unter Tränen und der Beobachtung der diensthabenden Schwester schrieb sie achtundzwanzig Seiten voll. Bis sie zusammenbrach. Anschließend durfte sie ein Telefonat führen.


„Wie alt bist du?“, fragte ihre Bettnachbarin.
„Siebzehn“, antwortete sie und drehte sich auf die andere Seite.
„Wievielte Woche?“
„Sechste circa.“ Sie wollte nicht reden. Nicht reden, schon gar nicht darüber.
Wahrscheinlich wäre das Kind eh behindert, zumindest aber süchtig auf die Welt gekommen. Das war es, an dem sie sich festhielt. Wer wollte einem Menschen schon so etwas antun. Und überhaupt, sie kam ja nicht einmal mit sich selbst zurecht. Es war wohl wirklich besser so. Es hatte besser zu sein.


„Ich schreib‘ dir lange Briefe aus der Klinik“, versprach Manni. „Und dann komme ich zurück, nehme meinen Job wieder auf und dann krieg‘ ich mein Leben auch wieder in den Griff. Hätte ich bloß nie angefangen zu drücken.“
Sie musste schlucken. Denn sie war es, die ihn dazu gebracht hatte. Von da an ging es bergab mit ihm. Ebenso rasant wie mit ihr.
„Hast du mal was von Phillip gehört?“
„Nee, der soll auf Entzug sein, aber keiner weiß Genaues.“
„Aha. Falls du ihn sehen solltest, grüß ihn.“
„Jup, mache ich. Oder er ist schon tot. Wer weiß das schon so genau.“
„Ja, wer weiß das schon.“